Vielleicht hast du dich schon öfter gefragt, warum es so schwer ist, das eigene Essverhalten einfach zu ändern. Warum Wissen allein oft nicht ausreicht. Und warum Kontrolle und Disziplin nicht nur keinen Spaß machen, sondern auch selten langfristig den gewünschten Erfolg bringen.
Genau hier setzt die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) an – mit einem anderen Vorgehen, das nicht auf noch mehr Kontrolle abzielt, sondern dabei hilft, die eigenen Muster besser zu verstehen und neue Wege im Umgang mit dem Essen zu finden.
Was mich daran besonders überzeugt und warum ich so gerne damit arbeite: ACT ist kein starres Therapiekonzept, sondern ein flexibles Modell, das sich erstaunlich direkt mit Themen wie emotionalem Essen, Selbstakzeptanz und dem Wunsch nach einem gesunden, entspannten Umgang mit Essen verbinden lässt.
Und nicht nur das: ACT hilft auch ganz allgemein, besser mit Stress, innerem Druck, Überforderungsgefühlen oder auch lästigen Selbstzweifeln umzugehen – also genau mit den Dingen, die oft die Ursachen von emotionalem Essen sind.
Was ist ACT? Grundlagen der Akzeptanztherapie
ACT steht für „Acceptance and Commitment Therapy“ – auf Deutsch: Akzeptanz- und Commitment-Therapie. Sie wurde in den 1980er-Jahren in den USA entwickelt und zählt zur sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie.
Im Zentrum von ACT steht die psychologische Flexibilität. Sie beschreibt die Fähigkeit, im gegenwärtigen Moment bewusst zu sein und das eigene Verhalten werteorientiert zu steuern – auch dann, wenn innere Erfahrungen (wie Gedanken, Gefühle oder Körperempfindungen) unangenehm oder schwierig sind.
Im Klartext heißt das:
- Nicht auf Autopilot zu reagieren, sondern bewusst zu wählen, wie du handeln willst.
- Innere Hindernisse (z. B. Angst, Zweifel, Scham) nicht zu vermeiden, sondern ihnen Raum zu geben, ohne dass sie dein Verhalten bestimmen.
- Sich auf das zu konzentrieren, was dir wirklich wichtig ist, und entsprechend zu handeln – auch wenn es unbequem ist.
ACT trainiert diese Flexibilität durch sechs Kernprozesse:
- Akzeptanz statt Vermeidung
- Kognitive Defusion (Abstand zu Gedanken gewinnen)
- Selbst-als-Kontext (sich nicht mit Inhalten der Gedanken identifizieren)
- Kontakt mit dem gegenwärtigen Moment
- Werteklärung
- Engagiertes Handeln (trotz innerer Barrieren)
Bei ACT geht es also nicht darum, schwierige Gedanken oder Gefühle loszuwerden. Denn sie gehören zum Leben dazu. Aber statt sie zu bekämpfen, lernst du, einen anderen Umgang mit ihnen zu finden – damit du dein Leben so gestalten kannst, wie es für dich gut ist.
Das Ziel ist: ein erfülltes Leben zu führen, das nicht von der Vermeidung unangenehmer Gefühle und Gedanken geleitet wird, sondern von deinen Werten, also von dem, was dir wirklich wichtig ist und wie du im Grunde deines Herzens sein möchtest
ACT wird sowohl von Psychotherapeut*innen in Praxen und Kliniken als auch im Life und Business Coaching in vielen Bereichen eingesetzt: bei Ängsten, Depressionen, chronischem Stress, Schmerzbewältigung – und eben auch beim Thema Ernährung, Körperbild und Selbstakzeptanz.
Warum ACT so gut zur Intuitiven Ernährung passt
Ernährungsverhalten ist mehr als Wissen über Nährstoffe. Es ist geprägt von Erfahrungen, Gewohnheiten, Emotionen, Erwartungen, Scham, Kontrolle – und oft von einem ständigen inneren Kampf.
ACT passt sehr gut zur intuitiven Ernährung, weil beide Ansätze dasselbe Ziel verfolgen: ein flexibles, selbstbestimmtes Verhalten, das nicht von äußeren Regeln oder innerem Druck, sondern von inneren Werten und Bedürfnissen geleitet ist.
Hier sind die grundsätzlichen Parallelen:
1. Akzeptanz statt Kontrolle
- ACT hilft, unangenehme Gefühle (z. B. Schuld, Scham, Essensdrang) anzunehmen, statt sie zu unterdrücken oder durch Kontrolle zu „lösen“.
- Intuitive Ernährung sagt: Alle Gefühle rund ums Essen dürfen da sein – sie müssen nicht bekämpft werden.
2. Achtsamkeit & Präsenz
- ACT schult den Kontakt zum gegenwärtigen Moment – genau wie achtsames Essen.
- Intuitiv essen heißt: im Hier und Jetzt mit dem Körper verbunden sein, statt nach Diätregeln zu leben.
3. Kognitive Defusion
- ACT hilft, sich von belastenden Gedanken zu lösen (z. B. „Ich darf das nicht essen“, „Ich habe versagt“).
- Das unterstützt, essen nicht mehr nach Gedanken zu steuern, sondern nach echten Bedürfnissen.
4. Werteorientierung
- ACT fragt: Was ist dir wirklich wichtig im Leben?
- Intuitive Ernährung fragt: Wie willst du mit deinem Körper und Essen umgehen? Was ist dir langfristig wichtig (z. B. Selbstfürsorge, Energie, Freiheit)?
5. Verhaltensflexibilität
- Beide Ansätze fördern, Verhalten bewusst zu wählen, statt automatisch oder reaktiv zu handeln (z. B. emotionales Essen, Diätmuster).
- Ziel: handlungsfähig bleiben, auch wenn es emotional oder gedanklich schwierig wird.
Fazit:
ACT ist ein starkes Fundament für intuitive Ernährung, weil es nicht um „richtig essen“, sondern um einen wertschätzenden, flexiblen Umgang mit sich selbst geht – genau das, worauf intuitive Ernährung basiert.
Wie ACT bei emotionalem Essen hilft
Emotionales Essen entsteht oft dann, wenn wir keine anderen Strategien haben, mit innerem Stress umzugehen. Es ist ein Versuch, uns zu regulieren – und damit zunächst gut gemeint.
Problematisch wird es, wenn Essen zur einzigen oder automatischen Reaktion wird.
ACT hilft dir, diesen Mechanismus zu erkennen – ohne dich dafür zu verurteilen und damit dein ganzes Selbstbild zu definieren. Es geht auch nicht darum, einfach „aufzuhören“, sondern darum, eine Wahl zu haben. Die Wahl, etwas anderes zu tun als zu essen, wenn du willst.
Mit den richtigen Übungen lernst du mit der Zeit, den inneren Druck besser auszuhalten, ohne ihn sofort mit Essen zu beantworten. Das ist keine Frage von Disziplin, sondern von Übung, Mitgefühl und Klarheit.
Und du wirst merken, dass allein das Wahrnehmen des inneren Impulses – ohne sofort zu reagieren – schon viel verändert.
Die Rosinenübung – achtsames Essen erleben
Die Rosinenübung stammt aus der Achtsamkeitspraxis und wird auch in der Akzeptanz- und Commitment-Therapie genutzt. Sie macht spürbar, worum es beim achtsamen Essen eigentlich geht: präsent sein, aufmerksam wahrnehmen – ohne zu bewerten und ohne automatisch zu reagieren.
Das Ziel ist nicht, jede Mahlzeit in Zukunft so zu gestalten. Sondern einmal ganz bewusst zu erleben, wie es sich anfühlen kann, mit allen Sinnen zu essen – und was das innerlich verändert.
So geht’s:
- Nimm dir eine Rosine (oder ein anderes kleines Lebensmittel) und halte sie in der Hand. Schau sie dir ganz genau an: Farbe, Form, Struktur.
- Spüre die Oberfläche zwischen deinen Fingern. Ist sie weich, hart, klebrig, warm, kalt?
- Rieche an der Rosine. Was nimmst du wahr? (Gutes und schlechtes :)) Was passiert in deinem Körper?
- Lege sie auf deine Zunge, ohne sofort zu kauen. Einfach nur spüren.
- Kaue langsam und aufmerksam. Was schmeckst du? Was verändert sich mit jedem Bissen?
- Schlucke bewusst. Und beobachte: Willst du gleich zur nächsten greifen? Oder ist gerade Ruhe da?
Diese Übung ist eine Einladung, den gewohnten Ablauf für einen Moment zu unterbrechen und Essen einmal anders zu erleben. Was passiert, wenn du dir wirklich Zeit nimmst? Es muss nichts dabei herauskommen – aber vielleicht nimmst du etwas wahr, was sonst untergeht.
Warum ich so ein großer ACT-Fan bin
Das Besondere an ACT ist für mich, dass es ein leicht erlernbares und flexibles Modell ist, das sich auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche anwenden lässt – nicht nur auf ein bestimmtes Problem.
Wenn man es einmal verstanden hat, kann man es selbstständig anwenden – im Alltag, immer wieder, in ganz unterschiedlichen Situationen.
ACT verhilft zu mehr Bewusstheit im Umgang mit sich selbst, zu mehr Selbstbestimmung – und macht das Leben intensiver, lebendiger und oft auch ein Stück leichter. Gerade dann, wenn es schwierig wird.
Fazit: ACT als Fundament für einen neuen Umgang mit Essen
ACT ist kein Diätplan, keine Selbstoptimierungstechnik und kein weiterer Versuch, alles „richtig“ zu machen. Es ist ein Modell, das dir hilft, dich selbst besser zu verstehen – und dich durch schwierige Zeiten begleitet.
Du kannst es nutzen, um dein Essverhalten zu verändern. Aber du wirst merken: Es verändert mehr als das. Es verändert deine Einstellung. Und diese Haltung wirkt weit über das Thema Ernährung hinaus – sie stärkt deine Resilienz, deine Beziehung zu dir selbst und deine Fähigkeit, mit Druck und Unsicherheit umzugehen.
ACT ist nicht laut, nicht spektakulär. Aber es wirkt. Still, tief und langfristig.
Wenn du es ausprobieren möchtest: Ich begleite dich gerne.
Artikel überarbeitet am 20. April 2025